Matthias Ludin hat es geschafft. Seit Anfang März ist der 50-Jährige auf dem ersten Arbeitsmarkt angekommen. Die Besonderheit: Sein neuer Arbeitgeber ist auch der alte; die Lebenshilfe Nienburg. Als ehemaliger Werkstattmitarbeiter zählt Matthias Ludin jetzt zum Personal und unterstützt das Team im Einkauf.
Es ist eine Premiere. Zum ersten Mal konnte die Lebenshilfe einen Mitarbeiter mit Beeinträchtigung in ein sozialversicherungs-pflichtiges Arbeitsverhältnis übernehmen. „Berufliche Teilhabe ist unser Kernauftrag“, sagt Detlef Ahnefeld, Geschäftsbereichs-leiter Bildung und Arbeit. Doch die Wege, wie Teilhabe aussehen kann, sind so vielfältig und individuell wie die Menschen selbst. „Wir bilden aus, qualifizieren, fördern, begleiten und betreuen den Übergang ins Arbeitsleben – und stehen sowohl unseren Mitarbeitern als auch den Unternehmen zur Seite.“ Hunderte Menschen mit Beeinträchtigung werden im Berufsbildungsbereich nach ihren Stärken und Fähigkeiten für unterschiedliche Tätigkeiten qualifiziert, sind in den Werkstätten beschäftigt oder arbeiten bei Partnerunternehmen der Lebenshilfe. Einigen gelingt auch der Sprung in den ersten Arbeitsmarkt, so wie Matthias Ludin. Das Budget für Arbeit kann diesen Schritt erleichtern.
Das Budget für Arbeit ist eine staatliche Förderung. Kostenträger wie die Region Hannover, der Landkreis Nienburg oder die Agentur für Arbeit übernehmen bis zu 75 Prozent der Lohnkosten, in der Regel für zwei Jahre. Das Budget für Arbeit ist eine Vorstufe zur Festanstellung – und auch eine Testphase für beide Seiten. Denn auch die Fördermaßnahme ist keine Garantie für eine dauerhafte Festanstellung. „Es ist ein langer Prozess“, sagt Irena Bajrami-Oelkers, die im Sozialdienst der Lebenshilfe Nienburg Werkstattmitarbeiter im Berufsalltag begleitet.
Auch bei Matthias Ludin war es ein langer Weg, obwohl man sich seit Jahrzehnten kennt. Er durchlief den Berufsbildungsbereich, arbeitete in den Werkstätten und in der Verwaltung, erst gelegentlich, dann immer häufiger und länger; er bewies dabei, dass er eine wertvolle Unterstützung sein kann. „Wir führten Gespräche, boten Weiterbildung an, loteten die Möglichkeiten innerhalb der Verwaltung und im Bereich Dienstleistungsmanagement aus“, beschreibt Ahnefeld die Suche nach einer Lösung. Im vergangenen Jahr absolvierte er schließlich ein Praktikum im Einkauf. „Das Team war begeistert. Matthias Ludin auch. Alle waren bereit, den nächsten Schritt zu gehen.“
Der erfolgreiche Seitenwechsel ist bislang ein Einzelfall. „Wir kennen die Menschen bei uns sehr genau, wissen, was sie können, was sie brauchen, was sie wollen – und loten alle Möglichkeiten der Beschäftigung aus“, sagt Bajrami-Oelkers. Die Chance, innerhalb der Einrichtung zu wechseln, sei aber gering. Das liege unter anderem daran, dass die Anforderungen an das Personal hoch seien; in allen Einrichtungen arbeiten durchweg Fachkräfte, zum Teil mit speziellen Zusatzqualifikationen. Dennoch: Bei Matthias Ludin hat es gepasst. Und das Budget für Arbeit öffnete ihm die Tür zum ersten Arbeitsmarkt.
Doch das Modell passt nicht für jeden Mitarbeiter – und nicht für jedes Unternehmen. „Es muss gegenseitiges Vertrauen da sein, die Unternehmen müssen eine soziale Ader haben, müssen bereit sein, sich auf die Menschen einzustellen“, sagt Bajrami-Oelkers. Das gelingt immer öfter, aber nicht in jedem Fall. Selbst Werkstattmitarbeitende, die schon viele Jahre bei einem Partnerunternehmen der Lebenshilfe arbeiten und voll integriert sind, scheuen sich mitunter davor, den letzten Schritt zu gehen. Einige kommen auch wieder zurück. Falls der Übergang nicht gelingen sollte, aus welchen Gründen auch immer, bietet die Lebenshilfe ein Sicherheitsnetz. „Wir lassen niemanden alleine“, betont Ahnefeld. Ziel sei es, für jeden Menschen einen optimalen Weg in die Beschäftigung zu finden. Doch klar ist auch: Der erste Arbeitsmarkt ist nicht für jeden die erste Wahl. Berufliche Teilhabe ist und bleibt ein Marathonlauf. Für Matthias Ludin ist er zu Ende – er ist jetzt am Ziel.